Ein prachtvoller Abschied„Ghost of Tsushima“ im Test für PS4
Das ist gut:
Für uns als Spieler spiegelt sich dieser Konflikt in zwei möglichen Spielstilen wieder: Entweder ihr tretet euren Feinden wie ein wahrer Samurai aufrecht gegenüber, oder aber ihr schleicht gebückt in dessen Rücken und meuchelt ihn hinterrücks wie ein Ninja.
Nun sollte man insbesondere mit Blick auf die vorherigen Titel aus dem Hause Sucker Punch meinen, dass Jins auch narrativ stets präsenter Konflikt sich in einer Art Moralssystem niederschlägt, doch letzten Endes macht es keinen Unterschied. Spielt, wie ihr wollt. Oder besser: wie ihr es für richtig haltet.
Eine Empfehlung können und wollen wir an dieser Stelle nicht geben, da sowohl stealthen als auch der offene Kampf gleichermaßen zum Ziel führen. Soweit es möglich war, entschieden wir persönlich uns aber meist dafür, den Gegner Auge in Auge wortwörtlich herauszufordern.
Tretet ihr auf eine Gegnergruppe zu, könnt ihr nämlich eine schön inszenierte Duellsequenz einleiten, die – das richtige Timing vorausgesetzt – den ersten Gegner mit nur einen Schwertstreich fällt. Im weiteren Verlauf des Spiels lässt sich das Ganze mit Erfahrungspunkten noch steigern, so dass ihr bis zu drei Gegner schon vor dem eigentlichen Kampfbeginn niederstrecken könnt. Und das stilsicher in Zeitlupe.
Doch auch die normalen Gefechte heben das Kampfsystem in Open World-Spielen auf ein neues Niveau, hat man sich hierfür doch an dem diesbezüglich brillanten „Sekiro: Shadows Die Twice“ orientiert. Anstatt nur plump mit leichten und schweren Hieben auf den Gegner einzudreschen, setzt „Ghost of Tsushima“ stark auf Timing.
Indem ihr die Attacken eurer Feinde pariert, öffnet ihr deren Deckung und könnt selbst hünenhafte Barbaren mit einer blitzschnellen Schwertcombo niederstrecken. Perfekte – also im allerletzten Moment ausgeführte – Paraden erlauben euch gar einen Konter, der euren Gegner mit nur diesem einem Schlag tötet.
Da dies im Kampf gegen gut und gerne mal sechs Gegner zugleich nicht immer reicht, stellt euch das Spiel noch eine Reihe an Werkzeugen und Techniken zur Verfügung, die ihr allesamt durch Erfahrungspunkte oder gesammelte Ressourcen im mehreren Stufen steigern und verbessern dürft. Werft Dolche, um die Feinde ins Wanken zu bringen, Rauchbomben, um euch ungesehen zu verdrücken, oder zückt den Bogen, um die Mongolen aus der Ferne zu erledigen.
Wechselt zudem je nach Gegnertyp jederzeit fließend zwischen vier verschiedenen Kampfhaltungen und lasst im Notfall mächtige Spezialattacken vom Stapel, die die Mongolen auch mal ein Körperteil kosten können. Diese speziellen Angriffe erfordern jedoch den Einsatz gleich mehrerer eurer sogenannten Entschlossenheitspunkte, die ihr durch erfolgreiche Attacken und Kills aufladet. Haut aber nicht alle für Kampfmanöver auf den Kopf, denn Entschlossenheit gibt euch auf Knopfdruck auch einen Schub an Lebensenergie.
Darüber hinaus verbessert ihr eure Chancen durch unterschiedliche Rüstungen, welche diverse passive Vorteile gewähren. Gleiches gilt für besondere Talismane, für die euch eine begrenzte Anzahl an Plätzen zur Verfügung steht. Allerdings wollen diese erst mal gefunden werden, und damit kommen wir zum eigentlichen Star von „Ghost of Tsushima“: der atemberaubend schönen Spielwelt.
Die Macher des Spiels haben sich bewusst für eine überzeichnete Inszenierung entschieden, die sich stark an die Ästhetik klassischer Samurai-Filme orientiert. Nicht umsonst könnt ihr jederzeit in einen kratzigen, an die Werke des Regisseurs Akira Kurosawa angelehnten, Schwarz-weiß-Look schalten. Nutzt diese Option aber erst, wenn ihr euch sattgesehen habt, denn Tushima erstrahlt in satten Farben und einer lebendigen Schönheit, die jede Postkarte blass aussehen lässt.
Jedes Panorama ist dank der herrlichen Weitsicht eine Wonne und lässt innehalten. Reitet ihr durch wogende Felder in den Sonnenuntergang, während Jin sich vom Sattel herablehnt, um die Hand in das vorbeirauschende Blumenmeer zu tauchen, bekommt man schon mal eine Gänsehaut. Und wenn ihr nächtens durch die Wälder streift und der Mond durch dichtes Blattwerk bricht, kann man schon mal poetisch werden, was sich spielerisch sogar im Verfassen von Haikus, einer traditionellen japanischen Gedichtform, niederschlägt (kein Quatsch).
Die komplette Spielwelt strahlt eine Harmonie aus, der man sich schlichtweg nur schwer entziehen kann, immer wieder durchbrochen von Zeichen des Krieges. Ganze Siedlungen findet ihr zerstört und niedergebrannt vor, immer wieder stoßt ihr auf grausam dahingemetzelte Einwohner, gehängt, gepfählt, erstochen. Und so bleibt eure Aufgabe bei den ausschweifenden Erkundungstouren stets präsent, zumal ihr auch immer wieder auf Lager des Feindes oder auch Überlebender trefft.
Aber keine Sorge: In Zeiten, in denen Open-World-Spiele sich der berechtigten Kritik stellen müssen, sich selber durch zu viele sinnlose Bring-&-Hol-Sammelaufgaben unnötig zu strecken, ist „Ghost of Tsushima“ wie ein Bad in einer dieser heißen Quellen, in welchen Jin beim Sinnieren über das Leben seinen Lebensbalken verlängern kann.
Die Welt ist nicht überfrachtet mit Aufgaben, lädt zum Entdecken ein und weiß gekonnt zu belohnen. Zwar greift man bei der Missionsstruktur durchaus auf Bewährtes zurück, verpackt es aber so gekonnt, dass wir nicht ein einziges Mal entnervt die Augen verdreht haben, weil mal wieder jemand verlangt, zehn Irgendwasse zu sammeln und diese dann nach Sonstwo zu bringen, nur damit dieses verdammte Fragezeichen von der Map verschwindet.
Das ist, neben der sympathischen Inszenierung einiger Aufgaben (folgt Füchsen zu Schreinen, um mehr Plätze für Talismane freizuschalten), vor allem den gut geschriebenen (Neben)Figuren geschuldet, die uns mit der Zeit so richtig ans Herz gewachsen sind. Manch einer büßte im Laufe längerer Questreihen indes an anfänglicher Strahlkraft ein und offenbarte nach und nach fragwürdige Motivationen, die man so zunächst gar nicht erwartet hätte. Herrlich!
Auf den Punkt gebracht, blieb „Ghost of Tsushima“ trotz des vergleichsweise einfachen Plots bis zum Schluss außerordentlich spannend und interessant. Und zwar sowohl was die Geschichte, als auch was die Spielwelt angeht.
Die deutschen Sprecher machen übriges einen erstklassigen Job. Wer aber den totalen Samurai-Overkill erleben will, schaltet auf Japanisch. Die mal sphärischen, mal treibenden Klänge der fantastischen und äußerst stilsicheren musikalischen Untermalung sind indes über jeden Zweifel erhaben.