Berliner ForscherCorona-Pandemie auch ohne Impfstoff zu stoppen

Berliner Forscher schlägt vor: So könnte man Covid-19 auch ohne Impfstoff ausrotten – es scheint, als warte die Welt im Kampf gegen das Corona-Virus mit angehaltenem Atem auf einen Impfstoff. Dabei ist dies laut einem Berliner Genetiker überhaupt nicht nötig. Gemeinsam mit einem Kollegen aus Amerika hat dieser nämlich eine Strategie erarbeitet, um Covid-19 auch ohne ein Serum zu stoppen.
„Wir haben bereits jetzt die Werkzeuge in der Hand, um diese unerträgliche Situation zu beenden“, verkündet der Forscher Hans Lehrach zuversichtlich. Seinem Plan nach könne man das Virus in relativ kurzer Zeit und mit vergleichsweise niedrigen Kostenaufwand „eliminieren und zu unserem Leben vor der Pandemie zurückzukehren“.
Und das alles, ohne auf lange Sicht mit Einschränkungen leben und auf einen Impfstoff warten zu müssen, dessen Entwicklung Jahre dauern und zudem unerwartete Probleme mit sich bringen könne.
Lehrachs Idee basiert auf hochmoderne Gen-Sequenziertechniken für flächendeckende Tests auf Sars-CoV-2. Alles was dafür nötig sei, könne infrastrukturell binnen weniger Monate auf die Beine gestellt werden.
Gegenüber der Berliner Zeitung erklärt Lehrach:
„Im Prinzip ist die Idee ganz einfach: Wir schicken jedem Menschen in Deutschland etwa fünf Proberöhrchen. Jede Woche öffnet man eins, transferiert eine bestimmte Menge Speichel hinein und schickt es an eine zentrale Sammelstelle.“
Diese Proben würden dann in regionalen Analysezentren verarbeitet und sequenziert. Anhand des Resultats könne man dann ablesen, wer das Virus hat und wer nicht. Infizierte müssten dann in Quarantäne, bis diese nicht mehr ansteckend sind.
Damit wirklich alle erfasst werden können, müsste man die Tests über einen Zeitraum von etwa 5 Wochen einige Male wiederholen. Gelinge dies flächendeckend, würde das Virus, in Ermangelung von Wirten, die es erreichen könne, nach einiger Zeit aussterben.
„Wenn man allerdings nicht alle koordiniert testet, so wie es zurzeit geschieht, dann stecken die, die nicht getestet wurde, immer wieder neue Menschen an“, kritisiert Lehrach und betont, dass es in seiner Strategie um ein „Testen aller auf einen Schlag“ gehe.
„Der Vorteil an diesem Ansatz ist: Wir brauchen auf nichts zu warten. Wir können – nach entsprechenden Vorbereitungen – sofort anfangen. Es sollte sehr rasch gehen. Das Virus sollte innerhalb weniger Wochen verschwinden.“
Was womöglich utopisch klingt, entstammt immerhin dem Hirn eines der weltweit führenden Genetiker. Der 73-Jährige forscht nicht nur am Dahlemer Max-Planck-Institut für molekulare Genetik sowie am Dahlem-Zentrum für Genomforschung und Medizinische Systembiologie, sondern ist auch Mitbegründer der Firma Alacris Theranostics, die schon jetzt an einem Großteil der Entwicklungen zur Bekämpfung der Pandemie beteiligt ist.
In Sequenziermaschinen würden dort zur Erforschung optimaler Therapien bereits jetzt die Gene von Tumor-Patienten und Tumoren in Massen untersucht. Auf gleiche Weise ließe sich auch das Erbgut des Coronavirus nachweisen.
„Wir haben eine enorme Sequenzierkapazität, die man nutzen sollte“, plädiert Lehrach und verweist darauf, dass Berlin beispielsweise pro Woche nur 58.000 Tests stemmen könne, wobei jeder PCR-Test auf Sars-CoV-2 individuell durchgeführt werden müsse.
„Wir dagegen würden die Menschen ihre Tests selbst machen lassen. Wir würden den Empfang und die Handhabung der Röhrchen in den Testlabors weitgehend automatisieren – vor allem aber das Auslesen der Tests.“
Eine gängige PCR-Maschine bringt es auf 96, maximal 384 Probe-Analysen auf einmal. So eine Hochleistungs-Sequenziermaschine schafft dagegen in gerade mal ein bis zwei Tagen circa zwanzig Milliarden Lesevorgänge. Das bedeutet, dass sich mit solchen Geräten binnen kürzester Zeit Millionen Proben parallel verarbeiten ließen.
Dafür bedarf es jedoch entsprechender Analysezentren nebst einer ausreichenden Anzahl an Laborkräften, beziehungsweise erst noch zu findender Automatisierungslösungen, um in diesem Ausmaß Proben verarbeiten zu können.
Die Kosten für eine Analyse, die Logistik- und Investitionskosten eingeschlossen, betrügen „wenige Euros pro Test“, rechnet Lehrach vor. Ein minimaler Betrag angesichts des enormen wirtschaftlichen Verlusts, der sich bereits jetzt aufgrund der Notwendigkeit sozialer Distanzierung angesammelt hat.
Zudem sei die eigentliche Analyse mit gerade einmal zwei Cent im Vergleich zu den 60 Euro, die für einen PCR-Test fällig werden, recht günstig.
Lehrach befindet sich bereits in Gesprächen mit Verantwortlichen zur Realisierung seiner Idee, es sei jedoch zu früh, Namen zu nennen. Es sei aber machbar, betont der Genetiker.
Mit einer Anschubfinanzierung könne man alle Schritte testen, um die Strategie dann zunächst in einer Region auszuprobieren. Damit das alles später auch auf breiter Ebene funktioniert, sei neben der Massenproduktion und dem Vertrieb der Test-Kits aber vor allem natürlich die Bereitschaft der Bürger zur Teilnahme unabdingbar.
Zudem müssten im Vorfeld wichtige Fragen geklärt werden: Wer übernimmt eine derart gigantische logistische Aufgabe, Millionen Probe-Päckchen auf einmal zu verschicken? Wie kann sichergestellt werden, dass eine Probe auch einer Person eindeutig zugeordnet werden kann? Und wer trägt die Verantwortung, Infizierte und Gesundheitsämter zu informieren?
Lehrach schlägt vor: „Das Einfachste wäre, die Gesundheitsämter organisieren die Verschickung der Teströhrchen. Dann wissen sie auch, wer welches Röhrchen bekommen hat und erfahren damit auch sofort, wer infiziert ist.“
Die Ämter sind jedoch bereits jetzt über ihrem Limit und kommen schon kaum mit den herkömmlichen Tests hinterher. Wie sähe es da erst aus, müsste man nun Millionen Teströhrchen verschicken?
Auf den Rückweg geschickt würden die Proben dann immerhin von den Leuten selbst, wobei die Röhrchen mit einem Barcode versehen seien, welche der Nutzer mittels seines Smartphones scannen kann. Dies soll sicherstellen, dass die Probe später zuverlässig zugeordnet wird. Alternativ könne man aber auch Name, Adresse und Kontakttelefonnummer dem Päckchen beilegen.
Infizierte würden laut Lehrachs Plan über die Gesundheitsämter, ihr Handy oder die Kontakttelefonnummer informiert und in Quarantäne geschickt. Eine App könnte den Vorgang mittels einer Verknüpfung zwischen dem Proben-Barcode und dem einzelnen Smartphone erleichtern.
„In Anbetracht der Dringlichkeit“, erklärt Lehrach, „sollten wir kollektiv imstande sein, innerhalb weniger Monate eine leistungsfähige Infrastruktur für populationsweite Tests aufzubauen sowie die dazu notwendigen Mittel zu stellen.“
Der Forscher bezeichnet dies als eine Investition für die Zukunft, schließlich werde Corona nicht die letzte Pandemie sein, welche die Menschheit erlebe.
Zum Weiterlesen
Quelle: berliner-zeitung.de